01.04.2017

Patient glücklich entlassen. // Gestatten: Narziss.
[Part I]



So.

Ich versuche das jetzt mal. Theoretisch sollten die Worte nur so geflogen kommen nach all meinen Erkenntnissen und all den positiven Veränderungen, die während meiner Therapie in mir stattgefunden haben. Aber dass etwas, was sich über viele Jahre eingeschliffen hat, nicht in sieben Wochen verschwindet, das war mir schon vorher bewusst. Und so hat sich an meinem perfektionistischen Anspruch an Dinge, die anderen gefallen sollen, leider noch nicht all zu viel getan. Doch in Lebensbereichen, in denen man allein (noch) nicht zu Rande kommt, darf und soll man sich auch Hilfe suchen.

Und so wende ich mich heute wieder an die fabelhafte Balbina (featuring Elif und Emeli Sandé). Vor 2 Jahren hatte ich sie ja an dieser Stelle schon einmal vorgestellt, und das war schon die Zeit, in der ich so gut wie gar nichts mehr gepostet habe. 11 Einträge im Jahr 2015, um genau zu sein. Aber ihre Musik wollte ich unbedingt in die Welt tragen. Denn irgendetwas war damit. Damals konnte ich das nur noch nicht benennen. Bei ihrem zweiten Album dagegen kann ich das genau: Jeder ihrer Songs ist Psychotherapie. Ich weiß nicht, ob Balbina selbst mal in einer oder mehreren Therapien war, oder ob sie all diese Erkenntnisse aus eigener Kraft gewonnen hat, aber in ausnahmslos jedem Song ihres zweiten Albums "Fragen über Fragen" finden sich Themen wieder, die ich in den letzten sieben Wochen in stationärer Psychotherapie bearbeitet habe - viele davon, auf die ich allein nie gekommen bin. Und weil das alles so großartig passt, nutze ich einfach die Tracklist des Albums, die ich für meine Therapieerkenntnisse nur in der Reihenfolge angepasst habe, um ein klein wenig aus der Klapsmühle zu erzählen. Wobei bei der Formulierung "ein klein wenig" an dieser Stelle wohl eher der Wunsch nach Kürze die Mutter des Gedanken war: Ich befürchte, es wird viel Schrift. Aber vielleicht gelingt es mir ja, die wesentlichsten Passagen noch irgendwie hervorzuheben. Aber nicht versuchen, den dritten Schritt vor dem ersten zu gehen, Herr Weise - ich fang erstmal an.

Wer die Songs hören möchte, dem lege ich Spotify ans Herz; wer die vollständigen Songtexte lesen möchte, findet jeden auf Balbinas Homepage.

Balbina singt: "Das Mittelmaß"

ich brauch was das mein herz tritt, wie ein herzschrittmacher.
etwas das mich weckt, wie ein presslufthammer.
ich brauch was das mich schubst- ich steh zu lang an einem punkt.
etwas das mich schockt.
ich fühl doch nichts.
mir gehts…
mir gehts so mittelmäßig.
ich brauch was das mich schleudert- ich hock mich in die Trommel meines trockners.
ich brauch was das mich antreibt, ich bleib sonst gleich
mir ist alles so gleich!
ich brauch was das mich sticht, wie die Seiten nach einem sprint.
ich brauche einen schnitt.
ich fühl sonst nichts. 

So ging das 2016 los bei mir. Die Diagnose Depression schleppe ich ja schon seit 2009 mit mir herum, und auch mein "schädlicher Alkoholkonsum" feiert dieses Jahr schon (mindestens) seinen fünften Geburtstag - der letzte (abgebrochene) Therapieversuch liegt allerdings auch schon wieder 5 Jahre zurück. So lange es nicht "schlimm genug" ist, rede ich mir ein, dass es schon irgendwie geht, tröste mich damit, dass es anderen schlechter geht und verfalle stattdessen in absolute Gleichgültigkeit. Mir musste erst wieder ein Mann so sehr das Herz brechen, dass mich Essensverweigerung und Angstattacken übermannten, damit ich endlich mal wieder gewillt war, mich in therapeutische Hände zu begeben. Stellt sich die Frage, warum ich immer erst einen Totalabsturz brauche, um mir einzugestehen, dass es mir vielleicht doch schlecht geht. Ein bisschen zumindest. Insofern: Danke, Fabian.



Balbina singt: "Fragen über Fragen"

was hält mich
was hält mich an
was hält mich am leben,
und warum?
was hält mich
von was ab,
und was lässt mich lieben,
und warum?

Ging es also am 09. Februar los im Haus 18, zunächst mit Fragen nach den eigenen Motivatoren und bremsenden Faktoren im Leben. "Was macht das mit ihnen? Was fühlen sie dabei?" wurde zum Mantra für mich, schnell kam aber auch die Frage dazu, ob man wirklich jede Frage beantworten kann, warum man auf jede Frage unbedingt eine Antwort braucht und was passiert, wenn es einfach keine gibt.

Balbina singt: "Das Sinnlos"

vor lauter fragen nach dem elementaren,
vergaß ich mal eben zu leben.
ich stand einfach daneben.
so wie gelähmt.
und jetzt lehn ich mich einfach zurück.
und finde den augenblick ganz entzückend.

Eine der ersten Anmerkungen zu meiner Person, die mir meine großartige Bezugstherapeutin gab, war, dass ich für alles unbedingt eine rationale Erklärung brauche, alles analysieren und theoretisieren muss und dass es mir auf diesem Weg gelungen ist, meine Gefühle komplett weg zu sperren. Vermutlich, weil das zu einem oder mehreren, früheren Zeitpunkt/en in meinem Leben wichtig für mich gewesen ist. Wo ich mir am Anfang nur "Hä? Wie jetzt?" dachte (und mein Mitbewohner auch meinte "Das versteh' ich nicht. Du heulst doch ständig."), was sich aber sehr schnell als unglaublich wahr heraus stellte. Und sich noch einmal unangenehm augenscheinlich bestätigte, als ich mir meinen jahrelang aufgesagten Satz "Die Trennung meiner Eltern hat mich als Kind nicht belastet, denn sie wurde mir logisch erklärt und war für mich rational nachvollziehbar." noch einmal durch den Kopf gehen ließ. Und vermutlich hingen auch meine Attacken, in denen ich tatsächlich minutenlang wie gelähmt lag oder saß und mich nicht mehr bewegen konnte, obwohl ich wollte, mit Gefühlen zusammen, die so übermächtig waren, dass keine Ratio mehr dagegen anstinken konnte.



Balbina singt: "Das Glück"

ich untersuch,
suche und finds nicht,
nicht mal mit schwarzlicht,
durchs teleskop
mit suchtrupp im moor.
ich suche
unter der fußmatte,
unter der untertasse,
unter dem hut auf dem kopf
im schuh und im trockner.
ich suche
suche in der schule,
unter der dusche,
suche im urlaub,
im bücherregal im flur.
aber ich find nichts raus
und schlag die faust sauer
auf den faust drauf

Eine Herausforderung, die vielleicht mehreren Einwohnern des Datingdschungels im Zusammenhang mit der Partnersuche bekannt ist: Um so verkrampfter man etwas sucht, um so geringer ist die Wahrscheinlichkeit, dass man es findet. Ab und zu habe ich mal eine schöne Feder im UKD-Gelände gefunden, aber als ich an einem Samstag Morgen schöne Federn zum Basteln von Traumfängern gesucht habe, habe ich kaum noch etwas Befriedigendes gefunden. Für den Erkenntnisprozess aber auch die ultimative Gratwanderung, denn einerseits wollte ich Erkenntnisse gewinnen und mein Zeitfenster war begrenzt, andererseits wusste ich, dass verkrampftes Graben nur tiefer ins Dunkel führt.

...und eigentlich ist das ein super Cliffhanger zu Teil 2 meiner "Kurzzusammenfassung" der letzten sieben Wochen. Denn insgesamt hat das Album 16 Songs, dazu kommen noch 2 Nicht-Balbina-Songs, zu 10 Songs habe ich jetzt schon etwas geschrieben, und irgendwie wird das wohl doch (noch) mehr, als gedacht. Versuche ich also, das Ganze ein bisschen zu portionieren und hoffe, dass ich Interesse wecken konnte für das, was noch kommt.

Spoiler Alert: Es gibt ein (very) Happy End.

*plöpp*

Keine Kommentare: